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Archive for März, 2009

Open Weltuntergang

Das Ende ist nah – das könnte man zumindest meinen, wenn man in den letzten Wochen auf die Wissenschaftsseiten bzw. in die Feuilletons diverser Zeitungen schaute. Alles begann damit, daß Anfang Februar der Editionswissenschaftler Roland Reuß, der immerhin „digitale Medien“ zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählt, in der zum Kulturpessimismus neigenden und von den digitalen Medien vollkommen überforderten FAZ die Alarmglocken schlug und vor einer „heimliche[n] technokratische[n] Machtergreifung“ warnte, die nichts weniger als die Freiheit der Forschung bedrohte. Er argumentierte hier nicht gegen, nein er „leugnete“ (so seine eigenen Worte) die von ihm ausgemachten Vorteile und Nachteile von Open Access. Eine genauere Würdigung seines hauptsächlich von Polemik geprägten Textes will ich gar nicht durchführen – Gudrun Gersmann tat das bereits sehr gut und sachlich – einzig einen Punkte will ich nicht unkommentiert lassen: Open Access ist nicht zwangsläufig billiger, als die Veröffentlichung in einem Verlag – das gewichtigere Argument besteht in der für die Urheber – nicht Verwerter – besseren Situation in Bezug auf die Rechte bei ihren Veröffentlichungen: diese bleiben erst einmal bei den Urhebern, es werden ja keine ausschließlichen Rechte eingeräumt. Ein knappen Monat später gelang es Reuß dann wieder einen Artikel in einer großen Tageszeitung unterzubringen, diesmal in der in digitalen Dingen nicht ganz unbeleckten Frankfurter Rundschau. Hier verquirlte er dann recht gekonnt zwei Dinge, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben: Google Books und Open Access – ein nicht ungeschickter Schachzug. Von diesen Artikeln offensichtlich beeinflußt, warnte der Journalist Rudolf Walther in der in Netzdingen und digitalen Medien eigentlich recht kompenteten taz vor „Open Enteignung“ und mischte in das Wirrwarr um Google Books und Open Access auch noch die – durchaus ernstzunehmende – Problematik der Langzeitverfügbarkeit von digitalen Inhalten – natürlich nicht ohne ein Hohelied auf analoge Medien zu singen, denn Hieroglyphen wären ja immer noch lesbar. Das Historische Archiv der Stadt Köln war rund zwei Wochen vorher eingestürzt – mit einem Gutteil seiner Bestände. Aber was muß man sich an die Nachrichten von vor zwei Wochen erinnern, wenn man doch vor der „Google-Piraterie“ und dem „‚Open-acces‘-Schwindel“ warnen kann, die „gefährlicher als die Piraterie entlang der somalischen Küste“(sic!) sind. Wenn die Artikel auch ein interessantes Licht auf die so vielgelobten Qualitätssicherungsmechanismen in durchaus seriösen Tageszeitungen werfen, so ist der bisherige Höhepunkt, der „Heidelberger Appell“, unter dem Aspekt der Unterzeichner noch viel interessanter: nachdem in ihm nun alles in einen Topf geworfen wurde, was einige Rechteinhaber unangenehm berührt (Google Books, Open Access, Youtube) fällt trotzdem die große Menge an Literaturwissenschaftlern auf – ebenso wie viele weitere Geisteswissenschaftler und natürlich auch (bellestrische) Autoren. Ob sich daraus etwas ablesen lässt? Vielleicht – und damit meine ich nicht, das die FAZ hauptsächlich von Geisteswissenschaftlern gelesen wird. Vielmehr scheint das Wissen um Open Access, seine Randbedingungen, seine Vor- und Nachteile noch nicht so weit in diesen Disziplinen verbreitet zu sein, als daß man eine Leimrute erkennen würde. Warum sich literarische Autoren gegen Open Access verwahren, scheint mir auch seltsam – wendet sich doch der gesamte Open-Access-Gedanke an wissenschaftliche Autoren. Die der „weitreichende[n] Eingriffe in die Presse- und Publikationsfreiheit, deren Folgen grundgesetzwidrig wären“ geziehenen Wissenschaftsorganisationen reagierten mit einer gemeinsamen Stellungnahme, die hoffentlich ebenso breit rezipiert werden wird, wie die vorhergehenden Artikel. (Eine recht ausgewogene und noch deutlich vollständigere Darstellung bietet Matthias Spielkamp, die Chronistenpflicht übernahm infobib.)
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